Was Sie als Geschäftsführer*in einer Kapitalgesellschaft zur Vermeidung von Haftungsrisiken über die insolvenzrechtliche Überschuldung wissen sollten.
Überschuldung als Insolvenztatbestand
In der österreichischen Insolvenzordnung sind zwei Tatbestände normiert, bei deren Verwirklichung unmittelbarer Handlungsbedarf für die Geschäftsführung (Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens) besteht:
- Dies ist einerseits die Zahlungsunfähigkeit (die von jedem, ob privat oder Unternehmen, zu beachten ist)
- und andererseits die Überschuldung (welche zusätzlich durch juristische Personen und kapitalistische Personengesellschaften zu beachten ist).
Der Tatbestand der Überschuldung war für die Dauer der Corona Pandemie ausgesetzt, tritt jedoch ab 01.07.2021 wieder in Kraft.
Was bedeutet Überschuldung?
Ebenso wie für die Zahlungsunfähigkeit (lesen Sie dazu unseren Beitrag hier ), findet sich in der Insolvenzordnung für die Überschuldung keine Begriffsbestimmung. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Definition wegen „ziemlich feststehender Ergebnisse der Wissenschaft“ überflüssig und wegen mangelnder Elastizität im Einzelfall sogar gefährlich wäre. Wenngleich in der Lehre einige Detailfragen strittig sind, haben sich in Österreich doch überwiegende Lehrmeinungen herausgebildet, die von einer allgemein gesagt nicht allzu strengen Rechtsprechung in vielen Bereichen gedeckt werden.
Stadien auf dem Weg zur insolvenzrechtlichen Überschuldung
Die Überschuldung eines Unternehmens kommt im Allgemeinen nicht aus heiterem Himmel. Wenn die Geschäfte über längere Zeit hinweg nicht gut gehen, in der Bilanz Verluste kumuliert werden und diese kumulierten Verluste (der Bilanzverlust) das Eigenkapital aufgezehrt haben, dann ist das ein Warnsignal: es ist Zeit darüber nachzudenken, ob und wie das Unternehmen wieder profitabel gemacht und der Bestand des Unternehmens gesichert werden kann.
In der Bilanz ist, wenn das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht ist, der Posten Eigenkapital umzubenennen in „negatives Eigenkapital“. Im Anhang ist anzugeben, ob eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts vorliegt. Diese Angabe sollte ernst genommen werden und auch fundiert sein. Und damit eine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung verneint werden kann (mit der Folge: keine Insolvenzantragspflicht, weiterhin Bilanzierung unter der Going Concern-Prämisse), sind mehrere Prüfschritte erforderlich.
1.Bilanzielle Überschuldung
Wenn ein negatives Eigenkapital (man spricht hier auch von buchmäßiger oder bilanzieller Überschuldung) auszuweisen ist, dann ist zu prüfen, ob die nächsten Stadien verwirklich sind.
2.Rechnerische Überschuldung
Bei der rechnerischen Überschuldungsprüfung ist ein sogenannter Liquidationsstatus aufzustellen. Dabei sind die Vermögenswerte nicht unter der Prämisse der Unternehmensfortführung, sondern unter der Annahme einer Liquidation zu bewerten und davon die Schulden abzuziehen. Gibt es einen Überhang der Schulden, so liegt rechnerische Überschuldung vor.
Die Bewertung aller Aktiva und Passiva ist dabei abgehend von den Buchwerten der Bilanz zu aktuellen Werten vorzunehmen.
Die Aktiva sind zu Zerschlagungswerten anzusetzen, also nicht mehr unter Annahme des Fortbestandes des Betriebes. Das kann zB beim Warenlager eine große Abweichung bedeuten. Speziell angefertigte und für den eigenen Betrieb wertvolle Maschinenbestandteile können zu Alteisen werden, wenn es keinen Markt dafür gibt. Man versetzt sich in die Lage des Masseverwalters, der versucht, alles bestmöglich zu versilbern. Dabei muss nicht immer in Einzelteile zerlegt werden, es könnte auch ein Betriebsteil, ein Teilbereich, unter Umständen sogar das ganze Unternehmen lebend veräußert werden. Diese hypothetischen Überlegungen müssen auf die konkrete Marktsituation abstellen und es ist von jener Art der Verwertung auszugehen, die als die wahrscheinlichste erscheint. Dazu ist naturgemäß Branchenkenntnis erforderlich. Oftmals ist der Geschäftsführung genau bekannt, welcher Mitkonkurrent bei ersten Anzeichen einer Krise darauf lauert, seine Geschäftsfelder erweitern zu können. Hier wird also in der Regel vor der Bewertung eine ausführliche Beratung mit der Geschäftsführung stattfinden, unter Umständen auch Erhebungen zur aktuellen Marktlage. Für Kundenforderungen ist eine realistische Einschätzung der Einbringlichkeit vorzunehmen. Stille Reserven sind aufzudecken.
Passivseitig ist nur echtes Fremdkapital aufzunehmen. Es entfallen daher Eigenkapital und Gesellschafterdarlehen, soweit für sie eine Rückstehungserklärung vorliegt. Auch Rechnungsabgrenzungsposten und Rückstellungen entfallen, außer sie würden im Insolvenzfall schlagend. Auch hier hilft der Vergleich mit dem Insolvenzverfahren: wer würde eine Insolvenzforderung anmelden und in welcher Höhe?
Liegt eine rechnerische Überschuldung vor, so ist eine sogenannte Fortbestehensprognose aufzustellen.
Nach Lehre und Rechtsprechung wäre es zulässig, auf die Erstellung eines Status zu verzichten, wenn sofort eine positive Fortbestehensprognose vorgenommen werden kann. Nach unserer Erfahrung hat es sich jedoch bewährt, bei der konservativen Reihenfolge zu bleiben. Der Status verschafft einen klaren Überblick über die aktuelle Situation und zeigt auch auf, welcher Überschuss langfristig erwirtschaftet werden sollte, wenn eine nachhaltige Erholung über die Abdeckung des Fehlbetrags hinaus erwünscht ist. Und sollte in weiterer Folge die Fortbestehensprognose negativ ausfallen, so liegt mit dem Status ein wichtiges Dokument vor, das für jede Art von Insolvenzantrag erforderlich ist.
Für die Berechnung der Überschuldung ist es nicht erforderlich, auf bestehende Sicherheiten einzugehen, die im Insolvenzfall Absonderungsrechte (zB Pfandrechte) oder Aussonderungsrechte (zB Eigentumsvorbehalte) bilden würden. Sobald jedoch ein Insolvenzverfahren in Erwägung gezogen wird, sollten diese Sicherheiten im Status ersichtlich gemacht werden. Gläubiger mit werthaltigen Sicherheiten nehmen in diesem Umfang nicht am Sanierungsplan teil, anders gesagt: die Entschuldungswirkung und damit das Einsparungspotential eines Sanierungsplanes wirkt nur hinsichtlich der unbesicherten Gläubiger. Das kann sich auf die anzubietende Quote auswirken und kann eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Wahl des richtigen Verfahrens sein. Außerdem sollte die Beratung Sicherheiten von Dritter Seite hinterfragen. Werden etwa Bürgenhaftungen schlagend, so sollte das nicht für alle Beteiligten überraschend kommen.
3. Fortbestehensprognose
Die Fortbestehensprognose beginnt sinnvollerweise mit der Dokumentation der Verlustursachen. Es folgt eine Unternehmensplanung mit Folgerungen zur erwarteten Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Darzustellen ist, ob das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit erhalten kann. Dabei ist die rechnerische Auswirkung von gesetzten oder geplanten Sanierungsmaßnahmen (Einsparungsmöglichkeiten oder ähnliches) abzubilden. Umsatzprognosen sollten realistisch, müssen aber nicht übervorsichtig sein. Es ist auch zulässig, für die Überbrückung von Liquiditätslücken Fremdkapitelzuflüsse vorzusehen, allerdings ist auch in diesem Zusammenhang zu hinterfragen, ob mit diesem Mittelzufluss (Bankkredit, Gesellschafterzuschuss) konkret gerechnet werden kann. Sollen Umsatzsteigerungen eingerechnet werden, muss es für diese Annahme eine realistische Begründung geben, die unseres Erachtens auch schriftlich dokumentiert werden sollte.
Diese Planrechnung umfasst zumeist einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren und ist erfolgreich, wenn sie unter realistischer Beurteilung aller Auswirkungen geplanter Sanierungsmaßnahmen und -beiträge mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Fortführung der geschäftlichen Aktivitäten unter Wahrung der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit darlegen kann.
Ein weiterer Bestandteil der positiven Fortbestandsprognose ist die Beschreibung einer positiven Entwicklung des Unternehmens, die langfristige Umkehr der vormals negativen Entwicklung, auch „turn around“. Das Unternehmen soll ja wieder die Gewinnzone erreichen. Es reicht für eine positive Fortbestehensprognose also nicht, wenn man nur das \“gerade noch Überleben\“ darstellen kann, bei dem alle Erträge, vielleicht auch aus Veräußerungen nicht betriebsnotweniger Bestandteile, von den laufenden Kosten aufgezehrt werden. Dafür wird zwar nicht gefordert, dass die Gesellschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraumes alle Verbindlichkeiten zurückzahlen kann (fiktive Schuldentilgungsdauer), aber eine Darstellung der zu erwartenden Gesamtverbesserung der wirtschaftlichen Lage sollte nicht unterbleiben. Ein gewisser unternehmerischer Optimismus ist in diesem Zusammenhang durchaus erlaubt und das Nachdenken über neue Chancen und Geschäftsfelder kann niemals schaden. Es sollte also eine abschließende Bemerkung darüber gemacht werden, warum das Unternehmen auch über den Planungszeitraum hinaus überlebensfähig sein wird, ein solcher Hinweis auf das Erfordernis für diese Überlegung findet sich auch in der einschlägigen Judikatur.
Insolvenzantragspflicht
Fällt die Fortbestehensprognose negativ aus bei gleichzeitig bestehender rechnerischer Überschuldung, so ist eine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung im Sinne des § 67 IO gegeben. Die Geschäftsführung hat dann unter Beachtung der dafür gesetzlich vorgesehenen Fristen (lesen Sie dazu auch folgenden Artikel zur Verlängerung der Konkursantragspflicht bei Überschuldung) einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei Gericht zu stellen. Als Insolvenzverfahren kommen dabei das Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung sowie das Konkursverfahren in Betracht.
Was wir für Sie tun können:
- Sollten Sie Fragen zur Überschuldungsprüfung, zu Fortbestehensprognosen, oder zur Bilanzierung bei negativem Eigenkapital haben, so stehen Ihnen unsere Beraterkolleg*innen und wir gerne zur Verfügung.
- Wir unterstützen Sie dabei nicht nur bei den oben dargestellten Prüfungen und Planungen, sondern können auch mit wichtigen Hinweisen für das richtige Verhalten im Krisenfall zur Vermeidung von unerwünschten Geschäftsführerhaftungen weiterhelfen.
- Im Bedarfsfall können wir für Ihr Unternehmen eine Insolvenz vorbereiten und Sie auch während des Verfahrens in Zusammenarbeit mit Schuldnervertreter und Insolvenzverwalter begleiten. Wir verfügen über BeraterInnen mit diesbezüglich jahrzehntelanger Praxiserfahrung.
Mehr zur Überschuldung und Sanierungsberatung erfahren Sie hier.
Mag. Andrea Trinko, Unternehmensberaterin, a.trinko@outlook.com
[av_blog blog_type=\’taxonomy\‘ link=\’category,137\‘ blog_style=\’single-big\‘ av_uid=\’av-kf291r\‘]