In der österreichischen Insolvenzordnung sind zwei Tatbestände normiert, bei deren Verwirklichung unmittelbarer Handlungsbedarf für die Geschäftsführung (Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens) besteht.
- Dies ist einerseits die Zahlungsunfähigkeit (die für jeden, ob natürliche oder juristische Person gilt) und
- andererseits die Überschuldung (welche zusätzlich für juristische Personen und kapitalistische Personengesellschaften gilt).
Die derzeit herrschende Covid 19 Pandemie hat weltweit keinen Stein auf dem anderen gelassen. Um nachfolgende wirtschaftliche Krisen abzufangen, hat die Regierung vielfältige Maßnahmen ergriffen, um betroffene UnternehmerInnen zu unterstützen:
Härtefallfonds, Kurzarbeit, Stundungen von Steuern und ÖGK Beiträgen, das Aussetzen von Insolvenzanträgen durch öffentliche Stellen und vieles mehr haben den Unternehmen beim Durchtauchen geholfen und in Summe dazu geführt, dass die Insolvenzeröffnungen österreichweit seit Ausbruch der Pandemie stark rückläufig sind.
Tatbestand der Überschuldung als Insolvenz-Grund vorübergehend ausgesetzt
Die Gesetzgebung hat auch bei den im Eingang dargestellten und seit vielen Jahrzehnten unveränderten Insolvenzgründen eingegriffen und den Tatbestand der Überschuldung als Insolvenzgrund vorübergehend ausgesetzt. Er wird aus derzeitiger Sicht erst wieder ab 1.7.2021 in Kraft treten.
Zahlungsunfähigkeit bleibt – Grund zu Handlungsbedarf – nur Antragsfrist zur Insolvenzeröffnung verlängert
Unverändert jedoch blieb – und gilt für alle – die Zahlungsunfähigkeit als Grund für Handlungsbedarf. Der Gesetzgeber hat lediglich die Frist für die erforderliche Reaktion – den Antrag auf Insolvenzeröffnung – von 60 auf 120 Tage verlängert. Auch diese Verlängerung gilt nach der derzeitigen Rechtslage nur mehr bis 30.6.2021.
Was bedeutet Zahlungsunfähigkeit?
Die Zahlungsunfähigkeit ist gesetzlich nicht abschließend geregelt, sondern wird durch höchstgerichtliche Rechtsprechung definiert.
Der oberste Gerichtshof (OGH) hat in jahrzehntelanger Spruchpraxis Richtlinien entwickelt, die für die Frage maßgeblich sind, ob ein Unternehmer, eine Gesellschaft oder auch eine Privatperson als zahlungsunfähig zu qualifizieren sind.
Die zentrale Definition lautet:
Zahlungsunfähig ist, wer seine fälligen Schulden nicht innerhalb angemessener Frist erfüllen kann.
Wie so oft kommt bei dieser juristischen Aussage jedem Wort Bedeutung zu, in mancher Hinsicht ist weitere Auslegung erforderlich:
„Wer“ bedeutet in diesem Zusammenhang jede rechtsfähige natürliche oder juristische Person, die Schulden machen kann. Jeder, der am Geschäftsleben teilnehmen kann, jede Person, die Einkäufe tätigen kann, jede Aktiengesellschaft, jeder Sportverein.
\“Fällig\“ sagt uns, dass nur jene Schulden in die Betrachtung einfließen, die bereits bezahlt werden müssen, also zur Zahlung fällig oder überfällig sind.
Erst in Zukunft fällige Verbindlichkeiten wie offene Zahlungsziele oder künftige Ratentermine sind unbeachtlich. Ebenso wie die betagten (noch nicht fälligen) sind auch bedingte Verpflichtungen (sie werden erst nach Eintritt einer bestimmten Bedingung schlagend) unbeachtlich. (Dies gilt für die Frage der Zahlungsfähigkeit. Die Überschuldungsprüfung – ein Thema für einen kommenden Beitrag – setzt hier gegenteilig an.)
Wir kommen zu den Schulden: „Seine Schulden nicht zahlen können“ verlangt eine Gegenüberstellung von Zahlen. Auf der einen Seite stehen die Passiva, die fälligen Verbindlichkeiten, auf der anderen Seite die Aktiva. Das Zahlenkönnen bedeutet vorhandene liquide Mittel. Das sind Bargeld, Bankguthaben und alles, was man schnell zu Geld machen kann. Diese Betrachtung ist eine höchst individuelle Finanzplanung und stellt auf den konkreten Einzelfall ab. Das wertvollste Gut hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter, wenn es dafür derzeit keinen Abnehmer am Markt gibt. Es geht rein um Liquidität.
Bei der Höhe der Verbindlichkeiten drückt der OGH ein Auge zu. Nicht hundert Prozent der fälligen Schulden muss der Schuldner bezahlen können, 95% Deckung sind ausreichend. Liegt die Liquiditätslücke unter der sogenannten Bagatellgrenze von 5%, so ist sie unschädlich, und zwar unabhängig von ihrer Dauer. Das klingt auf den ersten Blick wie eine einfache Regel, bei der Berechnung selbst kann sich aber so manche knifflige Fragestellung auftun.
In der Praxis kommt diesen Fragen allerdings selten Bedeutung zu. Berechtigterweise denkt keine Unternehmer*in an Insolvenz, wenn sie einen einstelligen Prozentsatz ihrer Verbindlichkeiten nicht bezahlen kann. Eher stellt sich die Frage, ob diese Bagatellgrenze nicht ein wenig niedrig ausgefallen ist.
Der letzte und zugleich heikelste Punkt der Definition ist die angemessene Frist für die Zahlung. In diesem Zusammenhang gab es viele unterschiedliche Ansätze in der Lehre und eine wirklich konkrete Rechtsprechung hat sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt. Hier gilt es zu unterscheiden: handelt es sich noch um eine sogenannte Zahlungsstockung oder hat die Zahlungsunfähigkeit bereits eingesetzt?
Dazu ein konkretes Beispiel: mein Kreditrahmen ist ausgeschöpft, meine Lieferanten schicken seit 2 Wochen Mahnungen und ich kann die nächsten Gehälter nicht pünktlich bezahlen. Aber ich weiß, dass mein größter Kunde, der über beste Bonität verfügt, in 2 Wochen eine sehr hohe Rechnung bezahlen und damit mein Problem behoben sein wird. Zahlungsunfähigkeit? Nein, das ist eine Stockung. Natürlich, das Beispiel ist zu schön, das Leben ist zumeist komplizierter.
In diesem Beispiel kann man an vielen Rädchen drehen:
Der Rahmen bei der Bank ist schon seit Monaten überzogen, die Gehälter nur deshalb nicht ausständig, weil die Mitarbeiter seit 4 Monaten in Kurzarbeit sind, mit den meisten Lieferanten gibt es Ratenvereinbarungen, Finanzamt und Gebietskrankenkasse sind gestundet. Mein Hauptlieferant hat die Geduld verloren und führt schon Exekution. Der hohe Zahlungseingang, der nächste Woche kommen soll, würde alle Probleme lösen, aber ich weiß leider nicht, wie es um die Bonität meines Kunden steht. Bin ich zahlungsunfähig? Kann das noch eine Zahlungsstockung sein?
Die Judikatur dazu gibt uns folgende Hilfestellung: eine Zahlungsstockung darf bis zu 3 Monate dauern, wenn danach mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Zahlungsfähigkeit eintritt. Sie darf sogar 5 Monate andauern, wenn sie danach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beseitigt ist. Allerdings ist in den Entscheidungen auch immer wieder zu lesen, dass es auf den Einzelfall ankommt und diese zeitlichen Angaben nur für gewöhnlich gelten, Ausnahmen bestätigen also die Regel.
Immerhin sind aber diese 3 Monate eine Richtlinie, an der man sich als Unternehmer*in orientieren kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass man immer 3 Monate einfach zuwarten darf, wenn es auf den Konten zu eng wird:
Die 60 Tage – derzeit covidbedingt 120 Tage – für den verpflichtenden Insolvenzantrag, laufen ab dem ersten Tag der Zahlungsunfähigkeit. Die 3 Monate für die Abgrenzung zwischen Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit sind bereits im Voraus zu beurteilen (und sollten danach auch erwartungsgemäß eintreffen). Vom Unternehmer wird bei sich abzeichnender wirtschaftlicher Krise daher immer eine Planrechnung erwartet, aus der sich die zu erwartende Entwicklung der Liquidität ablesen lässt.
Insolvenzantragspflicht – nehmen Sie Vertretung und Beratung in Anspruch
Kommt diese Planrechnung zum Ergebnis, dass eine Zahlungsunfähigkeit von mehr als 3 Monaten (im Ausnahmefall 5 Monaten) zu erwarten ist, wird der Weg zum Insolvenzgericht verpflichtend und es sollte dazu eine geeignete Beratung und Vertretung in Anspruch genommen werden.
Ergibt die Planrechnung, dass man es derzeit nur mit Zahlungsstockungen zu tun hat, ist jedoch längerfristig, zB bis zum Jahresende, mit anhaltender Zahlungsunfähigkeit zu rechnen, so handelt es sich um eine sogenannte drohende Zahlungsunfähigkeit. Diese verpflichtet zwar nicht zur Antragstellung, berechtigt aber zur Einleitung eines Sanierungsverfahrens. Eine solche vorausschauende Vorgehensweise in Kombination mit unternehmerischen Restrukturierungsmaßnahmen kann in Einzelfällen größeren Schaden für alle Beteiligten abwenden. Insbesondere ist für die Geschäftsführung selbst das Risiko eines Vorwurfs der verspäteten Insolvenzanmeldung de facto ausgeschlossen.
Mehr zum Sanierungsplan erfahren Sie hier.
Vorausschau
Demnächst finden Sie an dieser Stelle einen ausführlichen Beitrag zum Thema Überschuldung.
Was wir für Sie tun können:
Sollten Sie Fragen zu Planrechnungen oder Liquiditätsprognosen haben, so stehen Ihnen meine Beraterkolleg*innen und wir gerne zur Verfügung.
Mag. Andrea Trinko, Unternehmensberaterin
a.trinko@outlook.com
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